Dienstag, 10. Juni 2014

Wann ist ein Werk gemeinfrei?

Erstmal: Das hier stellt weder eine dogmatische Analyse noch eine juristische Betrachtung dar. Es wird daher nicht eingegangen auf:
- Lehrbücher und Kommentare zum Urheberrecht
- Rechtsprechung zum Urheberrecht
- Willen des Gesetzgebers zum Urheberrecht
- Streitentscheide zwischen herrschender Lehre und abweichenden Meinungen
- Fragen nach dem Sinn der Gemeinfreiheit
- Fragen nach dem Sinn und der Länge der Sperrfrist
- dogmatische Auslegungsmöglichkeiten (Methodenkanon) der Gesetzesnormen

Es geht hier nur um einen kurzen Praxisleitfaden, der – hoffentlich allgemeinverständlich – aufzeigen soll, welche Werke unter welchen Umständen und vorallem wann gemeinfrei und damit frei verwertbar für jedermann werden. Diese Ausführungen hier basieren bewusst nur auf dem Gesetzestext und dem Wortlaut der relevanten Rechtsnormen.

Was also sagt uns das Gesetz? Es ist ausnahmsweise mal sehr klar. Es gibt zwei verschiedene, eindeutig definierte Arten gemeinfreier Werke, diejenigen, denen aufgrund ihres besonderen Charakters trotz Schöpfungshöhe von vornherein gar kein Urheberrecht zukommen (URG 5) und diejenigen, deren Urheberrechtsschutz durch Zeitablauf zum Erliegen gekommen ist. (URG 29ff.).

Gem. Art. 5 Abs. 1 URG kommt folgenden Texten keinerlei Urheberrechtsschutz zu:
I. Jede Form von amtlichen Erlassen, insbesondere Gesetze und Verordnungen
II. Entscheidungen, Protokolle und Berichte von Behörden und öffentlichen Verwaltungen
III. Patentschriften und veröffentlichte Patentgesuche.

Da alle diese üblicherweise schon systematisiert im Netz stehen, ist diese Klasse an gemeinfreier Literatur für unsere Zwecke eher von untergeordneter Bedeutung. (Durchaus interessant können aber alte Gesetzestexte, ausländische Gesetzestexte, und Volltexte von Gerichtsurteilen sein).

Weitaus wichtiger ist die Gemeinfreiheit durch Zeitablauf, da sie für alle urheberrechtlich geschützten Werke, also auch für alle Arten von „sprachlich fixierten Kulturgüter“ vulgo Literatur, (etwa Fachbücher, Romane, Gedichte, Kurzgeschichten etc.) gilt. Hierzu hält Art. 29 Abs. 2 URG fest, dass der Urheberrechtsschutz 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers erlischt. Dies gilt auch dann, wenn der Todeszeitpunkt des Urhebers nicht exakt bestimmt werden kann, aufgrund objektiver Anhaltspunkte aber zweifelsfrei klar ist, dass dieser seit wenigstens 70 Jahren verstorben ist. (URG 29 III) Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn das Werk selbst so alt ist (>150 Jahre), dass der Urheber nach natürlichem Lauf der Dinge und üblicher Lebenserwartung unmöglich genügend lang überlebt haben kann, um die Sperrfrist aufrechtzuerhalten.

Wichtig ist, dass, sollten mehrere Urheber an einem Werk beteiligt gewesen sein, gem. Art. 30 Abs. 1 URG alle von ihnen bereits seit 70 Jahren verstorben sein müssen, um Gemeinfreiheit daran begründen zu können! Dies gilt auch (obwohl es so nicht direkt in Art. 30 URG steht, sondern in Verbindung mit Art. 29 Abs. 3 URG einfach herzuleiten ist) dann, wenn der „rechtzeitige“ Tod angenommen werden muss.

Findet sich in einem Werk kein Hinweis auf den Urheber und kann dieser auch durch sorgfältige Recherche (etwa über den Namen des Verlags, des Verlegers oder des Erscheinungsorts) nicht ausfindig gemacht werden, so handelt es sich um ein Werk mit unbekannter Urheberschaft.

Das Urheberrecht an solchen Werken erlischt gem. Art. 31 Abs. 1 URG 70 Jahre nach dem Veröffentlichungsdatum des Werkes, also 70 Jahre von der Jahreszahl an gerechnet, die neben dem Copyright-Vermerk „(c)“ steht...

Abschliessend das ganze nochmal als tl,dr-Anleitung in 八点:
1. Buch aufschlagen und nach dem Impressum suchen.
2. Urheberrechtshinweise (sofern einer drinsteht) ignorieren.
Diese sind üblicherweise rechtsfehlerhaft, jedenfalls aber irreführend und irritierend.
3. Alter des Buchs feststellen -> falls mehr als 70 Jahre alt weiter zu Punkt 4
4. Autoren des Buchs feststellen
5. Lebensdaten der Autoren recherchieren -> sofern alle seit mehr als 70 Jahren verstorben, weiter zu Punkt 8, ansonsten zu Punkt 6
6. Kann man aufgrund der Recherche davon ausgehen, dass die Autoren seit mindestens 70 Jahren verstorben sind? -> wenn ja, weiter zu Punkt 8, ansonsten zu Punkt 7
7. Muss man aufgrund der Recherche davon ausgehen, dass die Autoren unbekannt sind?
-> falls ja, weiter zu Punkt 8
8. Sich über ein gemeinfreies Buch freuen^^
Momentane Stichdaten: 二千十語|2015 (URG 5 I)
一千九百四十四|1944 (URG 29 II, URG 30 I, URG 31 I)
一千八百七十四|1874 (URG 29 III, URG 30 I i.v. mit URG 29 III)

- エル自由化
BV-GG-CHEM - 19. Jan, 21:24

Aktualisierung

Die Stichdaten wurden korrigiert. Da schon wieder ein Jahr um ist, bedeutet das natürlich auch, dass mehr Werke aus ihrer Schutzfrist befreit wurden. Die Jahreszahlen sind entsprechend angeglichen worden.

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Aktuelle Beiträge

Über diesen Blog
Der Name dieser Webseite ist eine Abkürzung und spielt...
BV-GG-CHEM - 19. Apr, 03:21
Obergericht Zürich: Anfrage...
An die Verwaltung der Strafabteilung des Obergerichts...
BV-GG-CHEM - 19. Apr, 03:08
Petition: Erlass einer...
An das Rektorat der Universität Zürich sowie; An die...
BV-GG-CHEM - 19. Apr, 03:07
Strafgericht Basel-Stadt:...
An die Verwaltung des Strafgerichts Basel-Stadt Sehr...
BV-GG-CHEM - 19. Apr, 00:10
Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland:. ..
An die Verwaltung der Strafabteilung des Kreisgerichts...
BV-GG-CHEM - 18. Apr, 23:59

Links

Suche

 

Status

Online seit 4168 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Mär, 10:37

Credits


Archiv
Artikel
Petition
Protokoll
Rechtsphilosophie
Statut
Übersetzung
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren