Petition zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» Ungültigkeit
Tl/dr: Der Bundeskanzlei wird ein Ablehnungsgesuch zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» übermittelt. Die Initiative ist (ob nun verfassungswidrig oder nicht) jedenfalls unzulässig, weil sie sich nicht auf ein Thema beschränkt.Tl/dr(日本語): 「ブルカ禁止」の国民発案について私達は
連邦首相官房に辞退請願を書きました。その発案は、
単一な題を限りません。それだから、「ブルカ禁止」の発案は、(人権の問題であって、人権の問題でありませ)、
兎に角無効です。An die für Vorprüfungen von Volksinitiativen zuständige Stelle der schweizerischen Bundeskanzlei
Petition zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot»,
Prüfung der Ungültigkeit wegen Verstoss gegen die Einheit der Materie
Sehr geehrte Damen und Herren
Mit Datum vom 29. September 2015 ist Ihnen eine Volksinitiative mit dem Titel «Ja zum Verhüllungsverbot» zur Vorprüfung unterbreitet worden. Bezugnehmend auf diese Volksinitiative und gestützt auf Art. 33 BV ersuchen wie Sie um folgendes:
1. Die Bundeskanzlei möge im Rahmen der Vorprüfung der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» die nachfolgenden verfassungsrechtlichen Argumente in analoger Anwendung von Art. 126 Abs. 2 ParlG zur Kenntnis nehmen und bei der Beschlussfassung berücksichtigen.
2. Die Bundeskanzlei möge feststellen, dass die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» das Formerfordernis der Einheit der Materie nach Art. 139 Abs. 3 BV sowie den notwendigen Sachzusammenhang nach Art. 75 Abs. 2 BPR nicht erfüllt und deshalb für ungültig zu erklären ist.
3. Sofern die Bundeskanzlei zum Ergebnis gelangt, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» sei nicht vollständig, sondern lediglich teilweise unzulässig, so möge sie diese auf ihren Kern, das Verbot der religiösen Ganzkörperverschleierung (Bruka, Niqab, Tschador, Çarşaf, Burkini) beschränken und insbesondere folgende Passagen des Initiativtextes für ungültig erklären:
1 [...] „oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen.“
Begründung:
Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung gem. Art. 139 BV ist ein machtvolles Instrument der direkten Demokratie. Aus grosser Macht folgt bekanntlich auch grosse Verantwortung. Von Bundesrechtswegen ist die Zulässigkeit solcher Initiativen daher an das Einhalten gewisser Formvorschriften gebunden. Gemäss Art. 139 Abs. 3 BV sind namentlich die Einheit der Form, die Einheit der Materie und die Konformität zum zwingenden Völkerrecht einzuhalten.
Im vorliegenden Fall problematisch erscheint den Petenten insbesondere die Einheit der Materie.
Gem. Art. 75 Abs. 2 BPR ist die Einheit der Materie im Sinne von Art. 139 Abs. 3 BV dann gewahrt, wenn zwischen allen Teilgehalten einer Volksinitiative ein sachlicher Zusammenhang besteht. Die Einheit der Materie rsp. der Sachzusammenhang ist nach Ansicht der Lehre auch Ausfluss des Grundrechts auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe nach Art. 34 Abs. 2 BV.
Sie soll sicherstellen, das Abstimmungen nicht in ideologische Grabenkämpfe ausarten, in denen es dem Bürger mit Stimmabgabe nur noch möglich ist, sich einer bestimmten Meinung anzuschliessen und deren Forderungen, unabhängig davon, ob diese im Einzelnen über einen logisch-inhaltlichen Zusammenhang verfügen (oder wie häufiger, eben nicht), vollständig zu bestätigen oder vollständig abzulehnen.
Da Volksabstimmungen aber im Gegensatz zu Parlamentswahlen Sach- und nicht Parteifragen klären sollen, ist es unzulässig, das Volk mit „Entweder-Oder“-Vorlagen oder ganzen Paketen an verschiedenen, von einander unabhängigen, unzusammenhängenden Sachfragen dazu zu zwingen, zu einer bestimmten politischen Ideologie kollektiv Stellung zu nehmen, es soll sich vielmehr zu jeder Sachfrage grundsätzlich einzeln äussern können. Initiativen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, sind folgerichtig für ungültig zu erklären.
Massgebliche Literatur:
EHRENZELLER, Bernard / GERTSCH, Gabriel S. 2476-2478 in:
EHRENZELLER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung;
GÄCHTER, Thomas S. 301-303 in:
BIAGGINI/GÄCHTER/KIENER (Hrsg.), Staatsrecht (2011)
Diese Rechtsansicht entspricht ganz überwiegend der ständigen, gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichts, welches hierzu in schöner Regelmässigkeit ausführt, dass:
„Der Grundsatz der Einheit der Materie verlangt, dass zwei oder mehrere Sachfragen und Materien nicht in einer Art und Weise miteinander zu einer einzigen Abstimmungsvorlage verbunden werden, die die Stimmberechtigten in eine Zwangslage versetzen und ihnen keine freie Wahl zwischen den einzelnen Teilen belassen. Wird der Grundsatz missachtet, können die Stimmbürger ihre Auffassung nicht ihrem Willen gemäss zum Ausdruck bringen: entweder müssen sie der Gesamtvorlage zustimmen, obschon sie einen oder gewisse Teile missbilligen, oder sie müssen die Vorlage ablehnen, obwohl sie den andern oder andere Teile befürworten.“
(BGE 129 I 366 E. 2.2 Satz 1/2) „Es wird gefordert, dass eine bestimmte oder die nämliche Materie betroffen werde, dass zwischen den Teilen ein "rapport intrinsèque étroit avec le même but" bestehe, dass die einzelnen zu einem bestimmten Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen und das nämliche Ziel verfolgen, das zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft, und dass der sachliche Zusammenhang nicht bloss künstlich, subjektiv oder rein politisch bestehe.“(BGE 129 I 366 E. 2.3 Satz 3)
Massgebliche Gerichtspraxis:
BGE 129 I 366, BGE 121 I 138, BGE 113 Ia 46, BGE 111 Ia 196,
BGE 105 Ia 11, BGE 104 Ia 215, BGE 99 Ia 724, BGE 99 Ia 646,
BGE 99 Ia 177, BGE 96 I 652, BGE 90 I 69
Eine Initiative verstösst demnach folglich dann gegen das Gebot der Einheit der Materie, wenn sie alternativ:
a. sich nicht auf ein einziges Thema beschränkt
b. sich nicht auf einen einzigen Zweck und Normen zu dessen Finanzierung beschränkt
c. sich nicht auf die Verknüpfung des Themas mit Übergangsbestimmungen beschränkt
d. einen Zweck mit nicht sachbezogenen Normen zu konkretisieren versucht
e. mehrere Aspekte verknüpft, die nicht einer einheitlichen Thematik zugerechnet werden können
(Katalog sinngemäss nach EHRENZELLER/SCHWEIZER a.a.O.)
Das ist vorliegend der Fall. Der Wortlaut des Initiativtextes, nachfolgend abgebildet, belegt dies:
Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt:
Art. 10a
Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts
1 Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen.
2 Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.
3 Ausnahmen sind zu gestatten aus gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten, klimatischen sowie Gründen des einheimischen Brauchtums.
Das Problem besteht in Form des Absatz 1, der mit den Worten „verhüllen“ und „verbergen“, zwei unterschiedliche Thematiken mit jeweils unterschiedlichen Zwecken, also zwei verschiedene politische Forderungen, mit jeweils klar unterschiedlicher Begründung in einer einzigen Sachabstimmung zu vereinigen versucht, was unzulässig ist.
Handelt es sich bei ersterer um eine symbolpolitsche Forderung des radikalen Laizismus, der (in verfassungsrechtlich eigentlich unzulässiger, jedenfalls grundrechtswidriger Weise), den Begriff der staatlichen Konfessionsneutralität auf eine öffentlichen, auch Privatpersonen betreffenden Zwang zum Verzicht auf religiöse Kleidung auszuweiten sucht, [„Niemand darf sein Gesicht [...] verhüllen“]
so ist die zweite Forderung darin zu sehen, dass aus sicherheitspolitischen Gründen ein starres Regime verbotener Kleidungsstücke [1], die zu tragen – weil sie von einigen Personen an Demonstrationen zur Strafvereitelung missbraucht wurden – für jedermann generell, also auch und gerade abseits von Versammlungen (!), auf nicht-öffentlichen Plätzen und Gebäuden, die der Allgemeinheit zugänglich sind (!!), sowie in allen nicht-allgemein zugänglichen Betriebshallen, die „Publikumsdienstleistungen“ erbringen (!!!), verboten werden sollen.
Kurz: Zwecks Terrorabwehr und Gewährleistung des allgemeinen Sicherheitsgefühls soll demnach also eine allgemeine staatliche Kleiderordnung eingeführt werden.
[„Niemand darf sein Gesicht [...] verbergen“]
Beides, Religionspolitik einerseits und Sicherheitspolitik andererseits, haben keine sachliche Verbundenheit, die mit ihnen als Begründung geforderten Massnahmen betreffen denn auch völlig verschiedene Grundrechte.
(Art. 15 BV i.v. mit Art. 8 Abs. 2 BV und Art. 26 Abs. 2 BV
[religiöse Verschleierung]
<->
Art. 10 Abs. 2 BV i.v. mit Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 16 BV,
Art. 17 BV, Art. 21 BV und Art. 27 Abs. 2 BV [Verbergen (von Teilen) des Gesichts aus künstlerischen-wirtschaftlichen Motiven])
Die Petenten bringen hiermit natürlich nicht vor, die Initiative sei wegen einer vorhandenen, möglichen oder befürchteten Verletzung der aufgeführten Grundrechte für unzulässig zu erklären, denn Grundrechte sind – so bedauerlich das ist – nicht zum zwingenden Völkerrecht zu zählen.
Es ist denn auch entgegen des von den Initianten vorgebrachten Arguments völlig irrelevant, ob der europäische Gerichtshof für Menschenrechte im – für die Schweiz ohnehin nicht verbindlichen (EMRK 46 I e contrario) – Fall 43835/11 entschieden hat, eine allgemeine Kleiderordnung nicht nur auf öffentlichen Strassen, sondern auch auf allem privaten Gelände, das in irgendeiner Weise allgemein zugänglich ist oder, ohne allgemein zugänglich zu sein, Dienstleistungen erbringt, die vom Publikum Entgelt)[2] wahrgenommen werden können, wäre konventionsrechtlich zulässig.
(Was er übrigens, dies nur für die Akten, auch nicht getan hat, er beschränkt sich auf die Aussage, dass das Verbot religiöser Ganzkörperverschleierungen in der Öffentlichkeit ausnahmsweise und in diesem besonderen Fall gerechtfertigt erscheinen kann. Insbesondere NICHT geprüft hat er, ob ein Verbot nicht-religiöser Kleidung, die dazu geeignet ist, irgendeinen Teil des Gesichts zu verdecken (ex. Masken, Perücken, Schminke, Kapuzen, Kostüme, Requisiten, Augenbinden, Sonnenbrillen, Bandana, Stirnbänder, Mützen etc.) einen Verstoss gegen die Kunstfreiheit nach Art. 10 EMRK darstellt.)
Die Petenten sorgen sich hingegen um unverfälschte Wiedergabe des Volkswillens, die mit – der jetzigen Form – dieser Volksinitiative nicht gewährleistet sein kann.
Diese zerfällt wie gezeigt in zwei eigenständige, von einander sowohl - schon im Initativtext - rechtlich („verhüllen“ <-> „verbergen“) als auch sachlich getrennte und unabhängige politische Forderungen, die in unzulässiger Weise vereinigt worden sind, ohne dass hierfür das notwendige Mindestmass an materieller Verbundenheit oder nachvollziehbarer Gründe bestehen.
Die notwendige freie Willensbildung kann so eindeutig nicht erfolgen, weil die Stimmbürger unnötigerweise dazu gezwungen werden, sich gleichzeitig entweder
gegen Religionsfreiheit und für mehr gefühlte Sicherheit
oder
für Religionsfreiheit und gegen mehr gefühlte Sicherheit
entscheiden zu müssen,
obwohl diese Themen voneinander unabhängige Sachfragen darstellen.
Zahlreiche Stimmbürger werden dementsprechend an der mit der Volksinitiative geforderten Abstimmung nicht sinnvoll teilnehmen können, weil sie nur einer, nicht aber beiden Sachfragen zustimmen möchten, aus diesem Grund aber zur Vorlage, welche diese zwangsmässig verbindet, weder JA! noch NEIN! stimmen können werden.
Eine unverfälschte Stimmabgabe kann mit der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» in der heutigen Form daher schlicht nicht gewährleistet werden. Sie ist somit folgerichtig gemäss Art. 139 Abs. 3 BV i.v. mit Art. 75 Abs. 1 BPR für unzulässig zu erklären.
Abschliessend möchten die Petenten ihre Hochachtung vor der direkten Demokratie samt aller ihrer Instrumente versichern und betonen, dass die hier vorliegende Petition sich explizit NICHT gegen die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung als solche richtet, sondern vielmehr aus Sorge um die unverfälschte Wiedergabe des Volkswillens im konkreten Fall eingereicht wird.
In diesem Sinne ersuchen wie Sie um wohlwollende Beachtung der mit dieser Petition vorgebrachten Argumente. Bitte benachrichtigen Sie uns über Lauf und Ausgang des weiteren Vorprüfungsverfahren.
[1] recte: aufgestellt wird, [...]
[2] recte: entgeltlich rsp. gegen Entgelt
連邦首相官房に辞退請願を書きました。その発案は、
単一な題を限りません。それだから、「ブルカ禁止」の発案は、(人権の問題であって、人権の問題でありませ)、
兎に角無効です。An die für Vorprüfungen von Volksinitiativen zuständige Stelle der schweizerischen Bundeskanzlei
Petition zur Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot»,
Prüfung der Ungültigkeit wegen Verstoss gegen die Einheit der Materie
Sehr geehrte Damen und Herren
Mit Datum vom 29. September 2015 ist Ihnen eine Volksinitiative mit dem Titel «Ja zum Verhüllungsverbot» zur Vorprüfung unterbreitet worden. Bezugnehmend auf diese Volksinitiative und gestützt auf Art. 33 BV ersuchen wie Sie um folgendes:
1. Die Bundeskanzlei möge im Rahmen der Vorprüfung der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» die nachfolgenden verfassungsrechtlichen Argumente in analoger Anwendung von Art. 126 Abs. 2 ParlG zur Kenntnis nehmen und bei der Beschlussfassung berücksichtigen.
2. Die Bundeskanzlei möge feststellen, dass die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» das Formerfordernis der Einheit der Materie nach Art. 139 Abs. 3 BV sowie den notwendigen Sachzusammenhang nach Art. 75 Abs. 2 BPR nicht erfüllt und deshalb für ungültig zu erklären ist.
3. Sofern die Bundeskanzlei zum Ergebnis gelangt, die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» sei nicht vollständig, sondern lediglich teilweise unzulässig, so möge sie diese auf ihren Kern, das Verbot der religiösen Ganzkörperverschleierung (Bruka, Niqab, Tschador, Çarşaf, Burkini) beschränken und insbesondere folgende Passagen des Initiativtextes für ungültig erklären:
1 [...] „oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen.“
Begründung:
Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung gem. Art. 139 BV ist ein machtvolles Instrument der direkten Demokratie. Aus grosser Macht folgt bekanntlich auch grosse Verantwortung. Von Bundesrechtswegen ist die Zulässigkeit solcher Initiativen daher an das Einhalten gewisser Formvorschriften gebunden. Gemäss Art. 139 Abs. 3 BV sind namentlich die Einheit der Form, die Einheit der Materie und die Konformität zum zwingenden Völkerrecht einzuhalten.
Im vorliegenden Fall problematisch erscheint den Petenten insbesondere die Einheit der Materie.
Gem. Art. 75 Abs. 2 BPR ist die Einheit der Materie im Sinne von Art. 139 Abs. 3 BV dann gewahrt, wenn zwischen allen Teilgehalten einer Volksinitiative ein sachlicher Zusammenhang besteht. Die Einheit der Materie rsp. der Sachzusammenhang ist nach Ansicht der Lehre auch Ausfluss des Grundrechts auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe nach Art. 34 Abs. 2 BV.
Sie soll sicherstellen, das Abstimmungen nicht in ideologische Grabenkämpfe ausarten, in denen es dem Bürger mit Stimmabgabe nur noch möglich ist, sich einer bestimmten Meinung anzuschliessen und deren Forderungen, unabhängig davon, ob diese im Einzelnen über einen logisch-inhaltlichen Zusammenhang verfügen (oder wie häufiger, eben nicht), vollständig zu bestätigen oder vollständig abzulehnen.
Da Volksabstimmungen aber im Gegensatz zu Parlamentswahlen Sach- und nicht Parteifragen klären sollen, ist es unzulässig, das Volk mit „Entweder-Oder“-Vorlagen oder ganzen Paketen an verschiedenen, von einander unabhängigen, unzusammenhängenden Sachfragen dazu zu zwingen, zu einer bestimmten politischen Ideologie kollektiv Stellung zu nehmen, es soll sich vielmehr zu jeder Sachfrage grundsätzlich einzeln äussern können. Initiativen, die diese Anforderungen nicht erfüllen, sind folgerichtig für ungültig zu erklären.
Massgebliche Literatur:
EHRENZELLER, Bernard / GERTSCH, Gabriel S. 2476-2478 in:
EHRENZELLER/SCHWEIZER, St. Galler Kommentar zur Bundesverfassung;
GÄCHTER, Thomas S. 301-303 in:
BIAGGINI/GÄCHTER/KIENER (Hrsg.), Staatsrecht (2011)
Diese Rechtsansicht entspricht ganz überwiegend der ständigen, gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichts, welches hierzu in schöner Regelmässigkeit ausführt, dass:
„Der Grundsatz der Einheit der Materie verlangt, dass zwei oder mehrere Sachfragen und Materien nicht in einer Art und Weise miteinander zu einer einzigen Abstimmungsvorlage verbunden werden, die die Stimmberechtigten in eine Zwangslage versetzen und ihnen keine freie Wahl zwischen den einzelnen Teilen belassen. Wird der Grundsatz missachtet, können die Stimmbürger ihre Auffassung nicht ihrem Willen gemäss zum Ausdruck bringen: entweder müssen sie der Gesamtvorlage zustimmen, obschon sie einen oder gewisse Teile missbilligen, oder sie müssen die Vorlage ablehnen, obwohl sie den andern oder andere Teile befürworten.“
(BGE 129 I 366 E. 2.2 Satz 1/2) „Es wird gefordert, dass eine bestimmte oder die nämliche Materie betroffen werde, dass zwischen den Teilen ein "rapport intrinsèque étroit avec le même but" bestehe, dass die einzelnen zu einem bestimmten Zweck aufgestellten Vorschriften zueinander in einer sachlichen Beziehung stehen und das nämliche Ziel verfolgen, das zwischen ihnen eine enge sachliche Verbindung schafft, und dass der sachliche Zusammenhang nicht bloss künstlich, subjektiv oder rein politisch bestehe.“(BGE 129 I 366 E. 2.3 Satz 3)
Massgebliche Gerichtspraxis:
BGE 129 I 366, BGE 121 I 138, BGE 113 Ia 46, BGE 111 Ia 196,
BGE 105 Ia 11, BGE 104 Ia 215, BGE 99 Ia 724, BGE 99 Ia 646,
BGE 99 Ia 177, BGE 96 I 652, BGE 90 I 69
Eine Initiative verstösst demnach folglich dann gegen das Gebot der Einheit der Materie, wenn sie alternativ:
a. sich nicht auf ein einziges Thema beschränkt
b. sich nicht auf einen einzigen Zweck und Normen zu dessen Finanzierung beschränkt
c. sich nicht auf die Verknüpfung des Themas mit Übergangsbestimmungen beschränkt
d. einen Zweck mit nicht sachbezogenen Normen zu konkretisieren versucht
e. mehrere Aspekte verknüpft, die nicht einer einheitlichen Thematik zugerechnet werden können
(Katalog sinngemäss nach EHRENZELLER/SCHWEIZER a.a.O.)
Das ist vorliegend der Fall. Der Wortlaut des Initiativtextes, nachfolgend abgebildet, belegt dies:
Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt:
Art. 10a
Verbot der Verhüllung des eigenen Gesichts
1 Niemand darf sein Gesicht im öffentlichen Raum und an Orten verhüllen oder verbergen, die allgemein zugänglich sind (ausgenommen Sakralstätten) oder der Erbringung von Publikumsdienstleistungen dienen.
2 Niemand darf eine Person zwingen, ihr Gesicht aufgrund ihres Geschlechts zu verhüllen.
3 Ausnahmen sind zu gestatten aus gesundheitlichen, sicherheitsrelevanten, klimatischen sowie Gründen des einheimischen Brauchtums.
Das Problem besteht in Form des Absatz 1, der mit den Worten „verhüllen“ und „verbergen“, zwei unterschiedliche Thematiken mit jeweils unterschiedlichen Zwecken, also zwei verschiedene politische Forderungen, mit jeweils klar unterschiedlicher Begründung in einer einzigen Sachabstimmung zu vereinigen versucht, was unzulässig ist.
Handelt es sich bei ersterer um eine symbolpolitsche Forderung des radikalen Laizismus, der (in verfassungsrechtlich eigentlich unzulässiger, jedenfalls grundrechtswidriger Weise), den Begriff der staatlichen Konfessionsneutralität auf eine öffentlichen, auch Privatpersonen betreffenden Zwang zum Verzicht auf religiöse Kleidung auszuweiten sucht, [„Niemand darf sein Gesicht [...] verhüllen“]
so ist die zweite Forderung darin zu sehen, dass aus sicherheitspolitischen Gründen ein starres Regime verbotener Kleidungsstücke [1], die zu tragen – weil sie von einigen Personen an Demonstrationen zur Strafvereitelung missbraucht wurden – für jedermann generell, also auch und gerade abseits von Versammlungen (!), auf nicht-öffentlichen Plätzen und Gebäuden, die der Allgemeinheit zugänglich sind (!!), sowie in allen nicht-allgemein zugänglichen Betriebshallen, die „Publikumsdienstleistungen“ erbringen (!!!), verboten werden sollen.
Kurz: Zwecks Terrorabwehr und Gewährleistung des allgemeinen Sicherheitsgefühls soll demnach also eine allgemeine staatliche Kleiderordnung eingeführt werden.
[„Niemand darf sein Gesicht [...] verbergen“]
Beides, Religionspolitik einerseits und Sicherheitspolitik andererseits, haben keine sachliche Verbundenheit, die mit ihnen als Begründung geforderten Massnahmen betreffen denn auch völlig verschiedene Grundrechte.
(Art. 15 BV i.v. mit Art. 8 Abs. 2 BV und Art. 26 Abs. 2 BV
[religiöse Verschleierung]
<->
Art. 10 Abs. 2 BV i.v. mit Art. 13 Abs. 1 BV, Art. 16 BV,
Art. 17 BV, Art. 21 BV und Art. 27 Abs. 2 BV [Verbergen (von Teilen) des Gesichts aus künstlerischen-wirtschaftlichen Motiven])
Die Petenten bringen hiermit natürlich nicht vor, die Initiative sei wegen einer vorhandenen, möglichen oder befürchteten Verletzung der aufgeführten Grundrechte für unzulässig zu erklären, denn Grundrechte sind – so bedauerlich das ist – nicht zum zwingenden Völkerrecht zu zählen.
Es ist denn auch entgegen des von den Initianten vorgebrachten Arguments völlig irrelevant, ob der europäische Gerichtshof für Menschenrechte im – für die Schweiz ohnehin nicht verbindlichen (EMRK 46 I e contrario) – Fall 43835/11 entschieden hat, eine allgemeine Kleiderordnung nicht nur auf öffentlichen Strassen, sondern auch auf allem privaten Gelände, das in irgendeiner Weise allgemein zugänglich ist oder, ohne allgemein zugänglich zu sein, Dienstleistungen erbringt, die vom Publikum Entgelt)[2] wahrgenommen werden können, wäre konventionsrechtlich zulässig.
(Was er übrigens, dies nur für die Akten, auch nicht getan hat, er beschränkt sich auf die Aussage, dass das Verbot religiöser Ganzkörperverschleierungen in der Öffentlichkeit ausnahmsweise und in diesem besonderen Fall gerechtfertigt erscheinen kann. Insbesondere NICHT geprüft hat er, ob ein Verbot nicht-religiöser Kleidung, die dazu geeignet ist, irgendeinen Teil des Gesichts zu verdecken (ex. Masken, Perücken, Schminke, Kapuzen, Kostüme, Requisiten, Augenbinden, Sonnenbrillen, Bandana, Stirnbänder, Mützen etc.) einen Verstoss gegen die Kunstfreiheit nach Art. 10 EMRK darstellt.)
Die Petenten sorgen sich hingegen um unverfälschte Wiedergabe des Volkswillens, die mit – der jetzigen Form – dieser Volksinitiative nicht gewährleistet sein kann.
Diese zerfällt wie gezeigt in zwei eigenständige, von einander sowohl - schon im Initativtext - rechtlich („verhüllen“ <-> „verbergen“) als auch sachlich getrennte und unabhängige politische Forderungen, die in unzulässiger Weise vereinigt worden sind, ohne dass hierfür das notwendige Mindestmass an materieller Verbundenheit oder nachvollziehbarer Gründe bestehen.
Die notwendige freie Willensbildung kann so eindeutig nicht erfolgen, weil die Stimmbürger unnötigerweise dazu gezwungen werden, sich gleichzeitig entweder
gegen Religionsfreiheit und für mehr gefühlte Sicherheit
oder
für Religionsfreiheit und gegen mehr gefühlte Sicherheit
entscheiden zu müssen,
obwohl diese Themen voneinander unabhängige Sachfragen darstellen.
Zahlreiche Stimmbürger werden dementsprechend an der mit der Volksinitiative geforderten Abstimmung nicht sinnvoll teilnehmen können, weil sie nur einer, nicht aber beiden Sachfragen zustimmen möchten, aus diesem Grund aber zur Vorlage, welche diese zwangsmässig verbindet, weder JA! noch NEIN! stimmen können werden.
Eine unverfälschte Stimmabgabe kann mit der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» in der heutigen Form daher schlicht nicht gewährleistet werden. Sie ist somit folgerichtig gemäss Art. 139 Abs. 3 BV i.v. mit Art. 75 Abs. 1 BPR für unzulässig zu erklären.
Abschliessend möchten die Petenten ihre Hochachtung vor der direkten Demokratie samt aller ihrer Instrumente versichern und betonen, dass die hier vorliegende Petition sich explizit NICHT gegen die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung als solche richtet, sondern vielmehr aus Sorge um die unverfälschte Wiedergabe des Volkswillens im konkreten Fall eingereicht wird.
In diesem Sinne ersuchen wie Sie um wohlwollende Beachtung der mit dieser Petition vorgebrachten Argumente. Bitte benachrichtigen Sie uns über Lauf und Ausgang des weiteren Vorprüfungsverfahren.
[1] recte: aufgestellt wird, [...]
[2] recte: entgeltlich rsp. gegen Entgelt
BV-GG-CHEM - 1. Okt, 14:20