Protokoll

Sonntag, 19. Juni 2016

SB150231-O – Protokoll eines Strafverfahrens gegen Polizisten (Amtsmissbrauch etc.)

Protokoll der Verhandlung der I. Strafkammer des Obergerichts Zürichs vom 19.05.2016

in Sachen: Berufung der Privatklägerin gegen das Urteil GG140079 vom 23. Januar 2015 der 10. Abteilung des Bezirksgerichts Zürichs

betreffend:
Amtsmissbrauch (Art. 312 StGB), Hausfriedensbruch (Art. 186 StGB), vorsätzliche einfache Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 StGB),
fahrlässige schwere Körperverletzung (Art. 125 Abs. 2 StGB)

Beteiligte:
Privatklägerin
Geschädigtenvertreter Steiner
Staatsanwältin Braunschweig
Angeklagter X
Strafverteidiger Erni
Angeklagter Y
Strafverteidiger Bettoni
Oberrichter Marti

Sachverhalt (der Beschreibung des Obergerichts entnommen) :
Den beiden beschuldigten Polizisten wird vorgeworfen, sie hätten die Privatklägerin im Rahmen einer Verhaftungsaktion schwer verletzt. Die Polizisten seien aufgrund der von der Privatklägerin verfassten Emails mit geäusserten Suizidabsichten an den Personaldienst der Stadtpolizei an den Wohnort der Privatklägerin gefahren.

Dort sei es zu einer eskalierenden Auseinandersetzung gekommen, wobei die Privatklägerin schliesslich verhaftet worden sei. Im Rahmen dieser Verhaftungsaktion sei sie u.a. auf die Treppe gefallen und von den Polizeifunktionären am Arm hochgerissen worden. Dadurch habe sie u.a. eine Diskushernie, einen Abriss der Bizepssehne und eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten.


Ablauf der Verhandlung:
0. Vorfragen

Der Prozess beginnt um 08:00 Uhr, es sind 37 Zuschauer anwesend. Oberrichter Marti eröffnet das Verfahren und erläutert, es gebe keine Vorfragen zu klären. Auf die Verlesung der Anklageschrift wird seitens der Angeklagten verzichtet, woraufhin Teile des Publikums die Anklageverlesung lautstark einfordern. In Folge wird als Kompromiss der Sachverhalt durch den vorsitzenden Richter zusammengefasst vorgetragen.

Zu den Berufungsanträgen führt Oberrichter Marti aus, die Privatklägerin verlange die Aufhebung des erstinstanzlichen Freispruchs sowie einen vollumfänglichen Schuldspruch im Sinne der Anklageschrift. Dabei stellt er fest, dass sowohl Kostenregelung wie Entschädigungsfolgen konnex zum Schuldspruch seien, bei einer Verurteilung der Angeklagten also neben der Strafzumessung auch diese Punkte ebenfalls neu zu beurteilen sind.

I. Beweisaufnahme und Beweisanträge

Rechtsbelehrung der Angeklagten gem. Art. 143 Abs. 1 lit. c StPO.
Oberrichter Marti weist die beiden Beschuldigten insbesondere auf das Aussageverweigerungsrecht gem. Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO hin.

Er beginnt mit der Befragung des Angeklagten X, wobei sich dieser – wie vorgeschrieben – zur Person äussert (Art. 143 Abs. 1 lit. a StPO), zur Sache hingegen angibt, „umfassend“ schweigen zu wollen. Auf Nachfrage des Richters ist der Angeklagte immerhin bereit, sich die Fragen anzuhören.

Im Rahmen der Befragung zu den persönlichen Verhältnissen (Art. 161 StPO) gibt der Angeklagte X an, weiterhin bei der Stadtpolizei zu arbeiten. Er sei seit Verfahrensbeginn nicht befördert worden. Er gibt an, nicht vorbestraft zu sein und gegenwärtig keine laufenden Strafverfahren anhängig zu haben. Weitergehende Aussagen und insbesondere Angaben zur finanziellen Situation verweigert er.

Zur Sache äussert er sich nicht und verweist auf die bisherigen Aussagen anlässlich der erstinstanzlichen Verhandlung, wo er die Privatklägerin auch zum letzten mal gesehen bzw. mit ihr Kontakt gehabt habe. Er hält seine Vorgehensweise am im Sachverhalt geschilderten Vorfall vom 03. August 2011 nach wie vor für korrekt und beantwortet keine Fragen zur Organisation des fraglichen Polizeieinsatzes. [1]

Oberrichter Marti stellt noch einige Sachfragen, die allesamt unbeantwortet bleiben, und bricht die Befragung des Angeklagten X schliesslich nach kurzer Zeit ab.

Er fährt mit der Befragung des Angeklagten Y fort. Nach den obligatorischen Angaben zur Person erklärt dieser, die Aussage zur Sache ebenfalls umfassend verweigern zu wollen. Bei der Befragung zu den persönlichen Verhältnissen schweigt der Angeklagte Y fast gänzlich und gibt lediglich an, weiterhin bei der Stadtpolizei beschäftigt zu sein, macht aber keine Aussagen zu einer allfälligen Beförderung oder zu seiner finanziellen Situation.

Auch er hält seine Vorgehensweise im Rahmen des fraglichen Polizeieinsatzes für korrekt, gibt aber im Gegensatz zum Angeklagten X ein „Ausrücken“ zu, räumt also ein, zum Tatzeitpunkt am Tatort gewesen zu sein. Im Übrigen macht er keine Angaben zur Sache und verweist ebenfalls vollumfänglich auf seine früheren Aussagen vor Bezirksgericht.

Oberrichter Marti stellt auch hier noch weitere Fragen zur Sache, deren Beantwortung jeweils vollständig verweigert wird, weshalb die Befragung des Angeklagten Y schliesslich abgebrochen und die Beweisaufnahme durch Befragung abgeschlossen wird.

Den Parteien wird Gelegenheit zur Einreichung von (ergänzenden) Beweisanträgen gegeben. Es werden zwei Beweisanträge zu Protokoll gegeben. Geschädigtenvertreter Steiner beantragt die Kausalität der Verletzungen, welche die Privatklägerin durch die Polizeiaktion erlitten haben soll, durch einen medizinischen Gutachter feststellen zu lassen.

-> Oberrichter Mart beschliesst, diesen Beweisantrag nicht vorfrageweise, sondern erst im Rahmen der Beratung nach den Parteivorträgen zu entscheiden

Die Privatklägerin selbst beantragt, einen schweren, scharfkantigen Kristallstein mit einem Durchmesser von ca. 20cm als Beweismittel zu den Akten zu nehmen.

-> Diesem Beweisantrag wird entsprochen und der Stein wird mit Vermerk auf die ohnehin schon dicke Akte entgegengenommen und dieser hinzugefügt.

II. Parteivorträge:

Die Privatklägerin beginnt ihren gut 2 Stunden dauernden Parteivortrag damit, die im Sachverhalt geschilderten Suizidabsichten zu bestreiten.
Sie schildert sodann, dem Eklat an der fraglichen Polizeiaktion sei eine Vorgeschichte mit dem Personaldienst vorausgegangen, welche am 30. Mai 2011 begonnen habe.

Im Zuge ihrer Scheidung von ihrem – nach eigener Aussage – gewalttätigen Ehemann habe sie eine Namensänderung vorgenommen, ihr Name sei damit nicht mehr I.________, sondern J.________, gewesen.

Als sie dies – nachdem bereits 2009 das Beschäftigungsverhältnis der Privatklägerin zur Stadtpolizei aufgelöst worden war, wobei diese ihr eine Abfindung in Höhe von 10 Monatslöhnen entrichtet habe – dem Personaldienst der Stadtpolizei mitgeteilt hatte, um die Ausstellung des Lohnausweises/Beschäftigungszeugnisses (?) auf den nun richtigen neuen Namen zu erhalten, sei ihr dies verweigert rsp. nur unter Auflage eines persönlichen Erscheinens gestattet worden.

Darüber ungehalten und unter dem Einfluss früherer unfairer Behandlung durch ehemalige Kollegen und Beamten der Stadtpolizei habe sie in der Nacht des fraglichen Polizeieinsatzes die folgende Mail dem damaligen stellvertretenden Chef des Personaldienstes gesandt, welche – so die Privatklägerin – keine Drohung darstelle:

„Tote Frau J.________, besser
Als weitere Misshandlung durch Stadtpolizei K.________“

Selbst wenn diese Äusserungen als Drohung missverstanden werden könnten, so stelle die Ankündigung eines Suizids jedenfalls die Ausübung eines Menschenrechts dar, weshalb die Zuständigkeit der Stadtpolizei für gefahren-abwehrende Massnahmen nicht gegeben gewesen sei.

Die Privatklägerin appellierte sodann an die Unabhängigkeit des Gerichts und betonte, Prozesse gegen Polizisten seien schwierig, weil alle anderen am Verfahren beteiligten Parteien auf Seiten des Staates, alle „Teil eines Systems, einer Familie“ seien.

Zur Sache führte sie wie folgt aus: Die Angeklagten seien nur aufgrund der Namensänderung und dem darauffolgenden Mail gekommen. Sie sei in der Küche gewesen und habe die nahenden Polizisten durch das Fenster gesehen. Die Angeklagten hätten das Haus ohne anzuklopfen durch eine Türe, welche offenstand, betreten. Sie sei ihnen im Hochparterre / Flur begegnet. Sie habe die Angeklagten höflich begrüsst und gesagt, dass sie keine psychische Hilfe bräuchte. Dennoch haben die Angeklagten das Haus daraufhin nicht verlassen wollen, weil nach deren Ansicht nicht nur ein personalrechtliches, sondern auch ein psychisches Problem bei der Privatklägerin vorgelegen hätte. [2]

Die Angeklagten sollen einen Entschuldigungsgrund für ihren Einsatz, den Hausfriedensbruch, gesucht haben. Dass die Privatklägerin sich ungehindert in den oberen Stock in ihr Büro zurückziehen konnte und dabei von den Angeklagten nicht nachverfolgt wurde, belege, dass sie zum Zeitpunkt der Polizeiaktion nicht aggressiv gewesen sein könne.

Sie bestreitet, zum Tatzeitpunkt geschrien und mit den Händen herumgefuchtelt zu haben oder davon gerannt zu sein. Vielmehr belege die Tatsache, dass sie am Abschliessen von Türen nicht gehindert wurde, dass die Angeklagten bei ihrer Polizeiaktion nicht von Dringlichkeit ausgingen.

Die Angeklagten hätten angefragt, ob sie Türen eintreten dürfen, wofür sie Rücksprache mit der Einsatzzentrale halten mussten. Währenddessen habe die Privatklägerin mit der Sekretärin des Personaldienstes sowie der psychologischen Nothilfe – die keine psychischen Probleme erkennen konnte – telefoniert sowie die (oben abgebildete) E-Mail geschrieben, was etwa 15 Minuten gedauert habe und durch den Funkspruch Nummer 13 belegt sei. Die Privatklägerin schildert den Inhalt dieses Funkspruchs, der beim Sachzusammenhang unterbrochen („herausgeschnitten“) und damit sinnentstellt worden sei. Inhaltlich ging es dabei wohl (?) um informelle Beschwerden von Mitarbeitern des Personaldienstes über häufige Mails und Telefonate seitens der Privatklägerin.

Die Aussagen der Polizisten über die Zeit zwischen Anfrage an die Einsatzzentrale und der Erteilung der ersuchten Erlaubnis divergierten auseinander, so habe dies je nach Angabe eine gute dreiviertel Stunde bzw. lediglich 2-3 Minuten gedauert, was offensichtlich unstimmig sei. Die Privatklägerin unterstellt den Angeklagten diesbezüglich den Aufbau eines Lügengebäudes zum Selbstschutz. Zudem behauptet die Privatklägerin, die beiden Angeklagten schützen sich gegenseitig durch falsche Aussagen zu Gunsten des jeweils anderen.

Demnach erweise sich das Vorbringen der Angeklagten, aufgrund der Abwehr einer konkreten Gefahr in ihren Handlungen gerechtfertigt gewesen zu sein, insgesamt als reine Schutzbehauptung. [3]

Zur Sache führt sie weiter aus, sie habe den Vorfall (Hausfriedensbruch) mit den Angeklagten klären wollen, weshalb sie wieder herausgekommen sei und – möglicherweise schnell – den Flur in Richtung Treppe hinuntergegangen sei. Dabei habe ihr der Angeklagte Y oberhalb der Steintreppe im eigenen Haus den Weg abgeschnitten und wortlos den Arm vor (!) das Kinn der Privatklägerin geschlagen. Die Privatklägerin räumte ein, den Arm des Angeklagten Y, welcher ihr den Weg zur Haustüre versperrte, leicht weggedrückt zu haben, worauf sie – vom Angeklagten Y zu Fall gebracht – die Treppe hinunter und auf einen am Boden befindlichen Kristallstein gefallen sei. Dabei habe sie sich einen Hirnschaden und eine schwere Wirbelsäulenverletzung zugezogen.

Der Angeklagte X sei bei diesem Sachverhalt nicht zugegen gewesen und habe später bestritten, dass die Privatklägerin vom Angeklagten Y zu Fall gebracht wurde, wobei dieser dies insofern eingeräumt habe, als es später angab, dass er sich vorstellen rsp. dies nicht ausschliessen könne, dass sich die Privatklägerin beim Fall von der Treppe an einem Gegenstand verletzt haben könne.

Beide Angeklagte hätten zudem später behauptet, die Gewalt sei von der Privatklägerin ausgegangen, was unzutreffend und dementsprechend als Schutzbehauptung zurückzuweisen sei.

Die erlittenen Verletzungen im Einzelnen, sowie ihre medizinische Bedeutung werden von der Privatklägerin ausführlich dargelegt.

Zur Sache bringt sie weiter vor, der Angeklagte X hätte sie nach dem beschriebenen Sturz von der Treppe „von Links“ geschlagen. Die von den Angeklagten vorgenommene Verhaftung im Freien vor den Nachbarn sei unwürdig gewesen und müsse deshalb strafverschärfend berücksichtigt werden. Die Verhaftung der Privatklägerin als schwerverletzte Person sowie die Fesselung mit Handschellen sei unsinnig und verbrecherisch gewesen. Die Angeklagten hätten dabei mit vollem Vorsatz gehandelt. Sie hätten der Privatklägerin befohlen aufzustehen, in vollem Wissen darum, dass dies medizinisch – mittlerweile durch Gutachten belegt – nicht möglich gewesen sei. Der Angeklagte Y habe dann die Privatklägerin am linken Arm hochgerissen, sie auf die Beine gestellt, erst gezwungen, sich auf die Treppe zu stellen und ihr dann befohlen, im Wohnzimmer sitzend warten zu bleiben.

Zum rechtlichen erwägt sie, Art. 217 StPO regle die Verhaftung abschliessend, weshalb kein Platz für abweichende oder ergänzende Regelungen im kantonalen Polizeirecht bestehe. Das erstinstanzliche Urteile verstosse gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, weil sich das Bezirksgericht alleine auf – von der Privatklägerin als parteiisch bezeichnete – medizinische Gutachter der Gegenseite stütze.

Sie will die Stellungsnahme eines eigenen medizinischen Gutachters in den Parteivortrag einbringen. Das Gericht ordnet auf Antrag von Geschädigtenvertreter Steiner eine 15-minütige Pause zur Klärung der Zulässigkeit dieses Teils des Parteivortrags an.

Nach der Pause gelangt das Gericht zur Entscheidung, dass die Verlesung des kompletten medizinischen Berichts nicht notwendig sei, erlaubt der Privatklägerin aber, eine Zusammenfassung der wesentlichen Punkte als Parteivortrag anzuführen. Die Privatklägerin liest die Stellungsnahme auszugsweise vor und trägt als Schlusswort ein Gedicht vor.

Geschädigtenvertreter Steiner beginnt seinen mit über einer Stunde ebenfalls recht lange dauernden Parteivortrag damit, zu bekunden, dass die von ihm vertretene Privatklägerin ihren Parteivortrag rational und sachlich vorgetragen haben, psychische Defizite seien daher ersichtlicherweise nicht vorhanden. Das Zerwürfnis zwischen der Privatklägerin und der Stadtpolizei seit dem Ausscheiden dieser aus dem Polizeidienst sei ursächlich für den Vorfall. Die geschriebenen Mails seien Ausdruck legitimer Verärgerung und Wut der Privatklägerin sowie gleichzeitig ein Vorwurf wegen konkreten Vorfällen, in welchen seine Mandantin unkorrekt behandelt worden sei. Er trägt die fraglichen Mails im Wortlaut vor. Gibt zu, dass aus den Mails eine Suizidabsicht gelesen werden könne. [4]

Das Verhalten der Stadtpolizei sei zu kritisieren. Die fehlenden Angaben zu Suizidgedanken im Einsatzprotokoll belegten, dass die Stadtpolizei die fraglichen Mails gar nicht ernst genommen habe. Die Stadtpolizei sei, wenn sie die Mails gleichwohl ernst genommen hätten, jedenfalls „falscher Freund und Helfer“ gewesen, weil sie dann als Grund für die Suizidgedanken denkbar ungeeignet zur psychischen Hilfeleistung gewesen wären. Die verwendeten Mittel seien nicht angemessen gewesen.

Weil die Privatklägerin die Polizei als Bedrohung wahrgenommen habe, sei die Situation von Beginn weg eskalationsgeneigt gewesen, was den Angeklagten als ehemalige Kollegen seiner Mandantin hätte bewusst sein müssen. Gerade deshalb hätte vielmehr eine Krisenintervention stattfinden müssen und der Fall hätte von einem unabhängigen Notfallpsychologen abgeklärt werden sollen. Dies sei jedoch unterblieben, weil – wie bereits vorgetragen – die Stadtpolizei die fraglichen Mails in Wirklichkeit gar nicht ernst genommen habe.

Korrekturen am Sachverhalt seien nach dem Parteivortrag der Privatklägerin vorzunehmen. Die Angeklagten hätten das Haus gegen den Willen seiner Mandantin betreten. Die Einsatzprotokolle legten aufgrund der aufgezeigten Zeitfenster die Version der Privatklägerin nahe. Der Rückzug ins Büro aus Angst vor einer „Überfall“-Situation sei logisch nachvollziehbar und schlicht eine natürliche Reaktion. Dass vor der verletzenden Handlung und während dieser keine Gespräche zwischen der Privatklägerin und den Angeklagten erfolgten sei unnatürlich und komisch angesichts der Tatsache, dass zwischen der „Flucht“ ins Büro und der Verhaftungsaktion mindestens 30 Minuten Zeit verstrichen ist.

An rechtlichen Überlegungen führte Geschädigtenvertreter Steiner an:
Der Tatbestand des Hausfriedensbruch sei objektiv und subjektiv erfüllt und wenn dies bejaht werde, so liege auch Amtsmissbrauch vor, weil kein Rechtsfertigungsgrund nach § 37 Abs. 1 lit. a PolG ZH bestehe, welcher die Durchsuchung von Räumlichkeiten zur Abwehr einer gegenwärtigen, erheblichen Gefahr für Leib und Leben erlaubt.

Der Ansicht der Vorinstanz, das Betreten der Wohnung sei notwendig gewesen, um die angebliche Selbsttötung seiner Mandantin abzuwehren, könne nicht gefolgt werden, sei doch die „Überfall“-Situation eher geeignet gewesen, bei der Privatklägerin Suizidgedanken hervorzurufen, als diese abzuwenden. Zudem lasse sich aus den Mails auch keine gegenwärtige, erhebliche Gefahr der Selbstgefährdung entnehmen.

Dies sei auch dadurch belegt, dass sich die Polizisten über längere Zeit nicht im selben Raum mit der Privatklägerin aufgehalten haben, was aber erforderlich gewesen wäre, wäre es darum gegangen, konkrete Suizidversuche zu verhindern. Dies zeige sich auch durch die lange Zeit (>30min), in welcher seine Mandantin alleine gelassen wurde, obwohl diese doch angeblich akut selbstmordgefährdet sein sollte. Ebenfalls hätte in diesem Fall das Büro der Privatklägerin durchsucht werden müssen, um allfällige Selbstmordmittel sicherzustellen.

Die Privatklägerin hätte sich jederzeit etwa aus dem Fenster stürzen können, sodass es den Angeklagten an der notwendigen Intention zur Gefahrenabwehr fehle, welche § 37 Abs. 1 lit. a PolG ZH erst anwendbar mache. [5]

Ein milderes Mittel wäre es gewesen, hätte sich die Polizei darauf beschränkt, Präsenz zu zeigen, bis die – nicht angeforderte – Krisenintervention vor Ort eingetroffen wäre. Die Angeklagten hätten mit Tötungsabsicht bzw. dahingehenden Vorsatz gehandelt, indem sie die – vorgebliche – Selbsttötungsabsicht der Privatklägerin durch ihr Auftreten, Handeln und Unterlassen vor der Eskalation erheblich verstärkt und gefördert haben. Daraus ergebe sich eine den Angeklagten vorwerfbare eventualvorsätzliche Tötung, jedenfalls dann, wenn man mit der Vorinstanz von einer akuten Selbstmordgefahr ausgeht. Folgt man dieser Ansicht nicht, so gebe es keinerlei Rechtsgrund für das Eindringen in die Wohnung seiner Mandantin, sodass schon allein das Betreten des Hauses den Tatbestand des Hausfriedensbruchs sowie des Amtsmissbrauchs erfülle.

Zum 2. Tatkomplex führte Geschädigtenvertreter Steiner aus:
Weil von der Rechtswidrigkeit des Betretens der Wohnung ausgegangen werden müsse, seien auch alle in der nachfolgenden Eskalation (Sturz von der Treppe / Arretierung) getroffenen Massnahmen qua strafrechtlicher Akzessorietät rechtswidrig und – soweit sie Tatbestände erfüllen – auch strafbar.

Auch für die Arretierung habe keinerlei Grund bestanden. Auch der zweite Tatkomplex stelle Amtsmissbrauch, zudem aufgrund der erlittenen Verletzungen auch vorsätzliche Körperverletzung dar. Es sei unverständlich, weshalb nicht auch der (vorsätzliche) Versuch der schweren Körperverletzung angeklagt wurde. [5-II]

Der Parteivortrag seiner Mandantin sei schlüssig und glaubhaft, weshalb von ihrer Version des Sachverhalts ausgegangen werden müsse. Die Angeklagten hätten sich auf eine gemeinsame, beschönigte und sie entlastende Variante des Tathergangs geeinigt und ihre Aussagen entsprechend abgesprochen, weshalb nicht allein auf diese Version der Sachverhaltsdarstellung als Grundlage des Urteils abgestellt werden dürfe. Die Angeklagten seien bigott, wenn sie sich als Polizisten in Strafprozessen über die Aussageverweigerung von Beschuldigten aufregten, in ihrem Prozess selbst aber sowohl zur Sache wie auch zu den persönlichen Verhältnissen schweigen.

Als Geschädigtenvertreter Steiner weiter vorträgt, der Kausalzusammenhang der Verletzungen sei durch das von der Privatklägerin vorgetragene Privatgutachten erstellt, wird er von Oberrichter Marti unterbrochen, der nachfragt, ob sich damit der Beweisantrag (medizinische Begutachtung) erledigt habe. Der Antrag wird nicht zurückgezogen, auch wenn er möglicherweise unnötig sei.

Anträge:
1. Schuldspruch der Angeklagten im Sinne der Anklage.
2. Genugtuung in Höhe von 15'000 Franken zu entrichten an die Privatklägerin
3. Anerkennung von Schadenersatzansprüchen (in Höhe der aufgrund den erlittenen Verletzungen notwendigen Heilungskosten, zu beziffern in einem späteren Zivilprozess)
4. Auferlegung der Prozesskosten zulasten Stadt K.________

Staatsanwältin Braunschweig beginnt ihren Parteivortrag damit, die Anträge der Staatsanwaltschaft zu formulieren. Sie beantragt die Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils und damit einen vollumfänglicher Freispruch für die Angeklagten. Zur Anklageerhebung führt sie aus, dass die Staatsanwaltschaft im Unterschied zum Gericht, welches sich vom Grundsatz der Unschuldsvermutung „in dubio pro reo“ zu leiten hat, an den Grundsatz des Anklagezwangs „in dubio pro duriore“ gebunden sei. Demnach habe die Staatsanwaltschaft auch dann Anklage zu erheben, wenn nicht sicher ist, dass vor Gericht ein Schuldspruch erstritten werden könne, eine Verurteilung jedoch voraussichtlich wahrscheinlicher erscheine als ein Freispruch.

Ein kürzlich ergangenes Urteil des Bundesgerichts habe diese Rechtslage jedoch dahingehend verändert, als dass bei Staatsbediensteten auf Grund deren Sonderstellung selbst dann Anklage erhoben werden müsse, wenn die Staatsanwaltschaft nach eigener Rechtsmeinung davon ausgeht, die Beschuldigten müssten freigesprochen werden, sofern eine Verurteilung aus Sach- oder Verfahrensgründen nicht völlig unmöglich erscheint, was dazu führe, dass grundsätzlich immer angeklagt werden müsse. Sie hält diese Rechtsprechung für problematisch und erklärt, ohne den vorliegenden Bundesgerichtsentscheid hätte sie das Verfahren eingestellt, weil die ermittelten Beweise für eine Verurteilung nicht ausreichend seien. [6], [7]

Die Form der Alternativklage, in welcher die Anklageschrift gehalten war, sei zulässig. Der Anklagegrundsatz sei nicht verletzt, wenn in unterschiedlichen Sachverhaltsvarianten mehrere, verschiedene Täter der gemeinsamen Begehung eines Delikts in Mittäterschaft beschuldigt werden. Die Beweislage sei hingegen problematisch, weil mangels Zeugen allein auf die Aussage der Privatklägerin abgestellt werden müsse. Das 100-seitige Urteil der Vorinstanz sei überzeugend, auch wenn gewisse Aussagen zur (abgelehnten) Kausalität der Schulterverletzungen rechtlich zweifelhaft seien.

Es sei nicht erwiesen, dass die weitergehenden Verletzungen durch die polizeilichen Handlungen entstanden seien. Aufgrund der zahlreichen, sich einander widersprechenden Eingaben der Privatklägerin sei es schwierig, deren Glaubwürdigkeit in einer „Aussage gegen Aussage“-Situation festzustellen. Die medizinischen Gutachten hätten einen zur Verurteilung ausreichenden Sachzusammenhang der Verletzungen nicht belegt. Das von Geschädigtenvertreter Steiner aufgezeigte Notfallverfahren sei lebensfremd und zum Schutz der Privatklägerin vor Selbstgefährdung ungeeignet. Die Angeklagten seien nach spezial-gesetzlichen Normen des Polizeirechts gerechtfertigt, sowohl bzg. Hausfriedensbruch als auch der Körperverletzungen.

Staatsanwältin Braunschweig beantragt abschliessend, den Beweisantrag auf medizinische Begutachtung abzulehnen, weil der Sachverhalt in dieser Hinsicht bereits durch die Arztberichte in genügender Weise abgeklärt sei.

Strafverteidiger Erni beginnt seinen Parteivortrag damit, vollumfänglich auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren zu verweisen. Zur Sache führt er aus, dass der Parteivortrag der Privatklägerin zu keinen neuen Erkenntnissen geführt habe und deshalb das Urteil zu bestätigen sei. Das eingereichte Beweismittel sei unerheblich und widersprüchlich, weil die Privatklägerin in einer früheren Eingabe abweichend behauptet habe, die Verletzungen seien durch den Fall auf mit Schuhen gefüllte Harasse aus Holz entstanden. Das von der Privatklägerin auszugsweise vorgetragene Parteigutachten sei „das Papier nicht wert, auf dem es steht“. Er beantragt für seinen Mandanten Freispruch unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der Privatklägerin. [8]

Strafverteidiger Bettoni beginnt seinen Parteivortrag ebenfalls damit, vollumfänglich auf seine Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren zu verweisen. Zur Sache führt er aus, eine Verurteilung sei schon aufgrund der Form der Anklageschrift unmöglich. Er rügt den als überlang und ungebührlich empfundenen Parteivortrag der Privatklägerin.

Stellt den Sachverhalt neu dar: Die Privatklägerin sei bei Antreffen der Angeklagten unfreundlich gewesen, die Angeklagten hätten zudem versucht durch die verschlossene Türe mit ihr zu sprechen, beim Festhalten des Armes habe die Privatklägerin versucht sich loszureissen, bei der Arretierung habe sie sich bewusst auf die Knie fallen lassen, um die Verletzungen selbst zu verursachen.

Die Behauptung, die Einsatzzentrale habe Teile deren Gespräche bewusst herausgeschnitten um Tatsachen zu verschleiern und die Angeklagten zu begünstigen seien haltlos und belegten lediglich, dass sich die Privatklägerin „ihre Wahrheit“ frei von Fakten und Tatsachen selbst zusammenstelle, weshalb auf ihre Sachverhaltsdarstellung nicht abgestellt werden dürfe.

Der Hausfriedensbruch sei nach Art. 14 StGB, § 5 PolG ZH sowie § 37 PolG ZH gerechtfertigt. Der Gewahrsam sei nach § 25 PolG ZH gerechtfertigt, wobei dieser situativ erfolgt und nicht von vornherein geplant gewesen sei. Die Rückenverletzungen seien durch einen selbstverschuldeten Velounfall der Privatklägerin entstanden, die Verletzungen der Schulter seien nicht kausal erwiesen und selbst wenn dies noch erfolgte, wären diese Verletzungen durch verschiedene Normen des kantonales Polizeirecht gerechtfertigt.

Die körperlichen Angriffe seien von der Privatklägerin ausgegangen, weshalb auch keine Fahrlässigkeit im Sinne einer Garantenpflichtsverletzung vorliege. Er beantragt daher Freispruch unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zulasten der Staatskasse. [9]

III. Repliken:

Die Privatklägerin repliziert wie folgt: Die Röntgenaufnahme, welche die Kausalität ihrer Verletzungen belege sei ihr erst im März 2016 in digitaler Form zugegangen, sodass sie diese erst im heutigen Prozess als Beweismittel habe einreichen können. Sie bestreitet, dass die Rückenverletzungen durch einen Velounfall entstanden seien und behauptet, der Parteivortrag von Staatsanwältin Braunschweig sei sachlich unzutreffend und (zugunsten der Angeklagten) parteiisch gewesen.

Die Schulterverletzungen können nicht durch die Holzkisten entstanden sein, das Verletzungsbild passe nur zu dem als Beweismittel eingereichten Kristallstein. Die Verletzungen seien kausal, weil – auch wenn die Arztberichte erst nachträglich erstellt wurden – sie nicht nachstellbar seien.

Geschädigtenvertreter Steiner repliziert in dem er ausdrücklich erklärt, an seinen bisherigen Ausführungen im Parteivortrag festhalten zu wollen, insbesondere was die unklare Zeitspanne zwischen der „Flucht“ ins Büro und der späteren Eskalation betrifft.

Staatsanwaltschaft und Verteidiger verzichten auf ihr Replikrecht, die Angeklagten auf ihr Schlusswort. Damit ist die Sache entscheidungsreif und das Gericht zieht sich um 13:15 Uhr mit ausdrücklichem Hinweis auf ein angeblich bestehendes Menschenrecht auf Mittagessen zur Beratung zurück.

IV. Entscheidung:

Um 17:15 Uhr wird nach mehrstündiger Beratungszeit den Parteien vor immerhin noch 21 Zuschauern gestützt auf Art. 80 Abs. 3 StPO mündlich eröffnet, dass durch Beschluss des Gerichts im Sinne der Beweisanträge ein medizinischer Gutachten zu beauftragen ist, welches die Frage der Kausalität der fraglichen Verletzungen durch Auswertung der medizinischen Akten abklären soll.

Den Parteien wurden drei verschiedene Gutachter genannt und eine Frist von 10 Tagen angesetzt, um mögliche Ablehnungsgründe gegen diese Personen vorzubringen. Der Privatklägerin wurde zudem vorsorglich jede Form der Kontaktaufnahme mit den Gutachtern untersagt. Alle erforderlichen Kontakte zwecks medizinischer Begutachtung haben ausschliesslich über das Gericht zu erfolgen und sind diesem anzuzeigen.

Oberrichter Marti hält abschliessend fest, dass ein Urteil in der Sache zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich ist, lässt jedoch durchblicken, dass – sollten sich die Schulterverletzungen kausal erweisen lassen – eine Verurteilung der Angeklagten wegen Körperverletzung wohl zu erfolgen hat.
[1] An dieser Stelle erhob sich aus dem Publikum Unmut über die Wortkargheit des Angeklagten. Vereinzelt wurde versucht, sich in die richterliche Fragestellung einzumischen.

[2] In ihrem Parteivortrag bezeichnete die Privatklägerin die Angeklagten an dieser Stelle mehrmals in ungebührlicher Weise, namentlich mit „Arschloch“ und „Lügner“

[3] Die Privatklägerin verwendet die Bezeichnung „Schutzbehauptung“ recht grosszügig für jede Art von Äusserungen der Gegenseite, welche sie bestreitet. Das ist, wenn man den Duden konsultiert, zwar nicht unbedingt falsch, aber im Sprachgebrauch zumindest etwas exzentrisch...

[4] Meines Erachtens war das Einräumen der möglichen Suizidabsicht taktisch unklug. An Stelle des Geschädigtenvertreters hätte ich stumpf bestritten, dass ein solches Missverständnis anhand der Formulierung überhaupt möglich ist. Dann hätte nämlich das Gericht erst einmal über die objektive Eignung des fraglichen Mails, Suizidabsichten zu bekunden, befinden müssen...

[5] Hierbei wurde meines Erachtens versäumt, auf die verfassungsrechtlichen Aspekte des kantonalen Polizeirechts einzugehen. § 37 Abs. 1 lit. a PolG ZH erwähnt nämlich weder Selbstgefährdung noch Suizidversuche, sondern stellt auf die Gefahr für Leib und Leben ab, ist also auf die Fremdgefährdung von Drittpersonen durch Störer abgestimmt. Dass dem so sein muss, belegen die übrigen Absätze dieses Paragraphen. Abs. 2 bestimmt, dass der Inhaber des (Hausrechts über einen) Raum(s) bei der Durchsuchung beizuziehen ist, Abs. 3 bestimmt, dass der Zweck der Durchsuchung dem Inhaber unverzüglich bekannt zu geben ist. Beides ergibt nur Sinn, wenn die Norm grundsätzlich von der Konstellation ausgeht, dass Inhaber und der von der gefahren-abwehrenden Massnahme betroffene verschiedene Personen sind.

Dabei muss auch in Betracht gezogen werden, dass zur Durchsuchung von Räumen stets auch das Betreten von Privatgrundstücken nach § 20 PolG ZH notwendig ist, also – schon der Systematik wegen – eine polizeiliche Massnahme im Sinne von § 18 PolG ZH vorgenommen wird, die sich – so der Wortlaut der Marginalien – grundsätzlich gegen die Störer selbst und mangels gesetzlicher Bestimmung nur ausnahmsweise, nämlich bei Gefahr im Verzug und einer schweren Störung der öffentlichen Sicherheit auch gegen andere Personen richten darf, wie es § 19 lit. b PolG ZH festhält. Eine schwere Störung der öffentlichen Sicherheit ist aber bei blosser Selbstgefährdung schon begriffsmässig undenkbar, sodass weder
§ 19f. noch § 37 PolG ZH Anwendung finden können und zwar unabhängig von den konkreten Umständen des jeweiligen Falles, weil es sich um eine logisch zwingende abstrakte Unanwendbarkeit handelt.

Der Gesetzgeber wollte selbst-gefährdende Handlungen eben gerade nicht prinzipiell unterbinden, was sich nur schon daran zeigt, dass mit Ausnahme einer Detailregelung zur fürsorgerischen Unterbringung in Art. 427 lit. 1 Ziff. 1 ZGB das Instrument der Selbstgefährdung dem Bundesrecht gänzlich fremd ist.

Eine Auslegung, welche die Ausdehnung von § 37 Abs. 1 lit. a PolG ZH entgegen § 18f. PolG ZH auf Selbstgefährdung durch Nichtstörer ausserhalb von Verfahren nach Art. 426 ZGB ermöglicht, erweist sich damit meines Erachtens als bundesrechtswidrig im Sinne von
Art. 49 Abs. 1 BV sowie mangels Beachtung der negativen Lebensfreiheit und des Selbstverantwortungsrechts auch als Verstoss gegen Art. 10 Abs. 1 BV (e contrario) und Art. 6 BV und somit als verfassungswidrig.

Verfassungswidriges Verhalten kann nicht als gerechtfertigt im Sinne von Art. 14 StGB gelten, denn diese Norm setzt voraus, dass das fragliche Verhalten „erlaubt oder geboten“ ist. Das Gesetz gebietet insbesondere auch die Verfassungstreue des Staates und seiner Vertreter.
(Art. 5 Abs. 1 BV, Art. 35 Abs. 2 BV) Entgegenstehendes Verhalten ist weder erlaubt noch geboten, und kann allenfalls aufgrund Art. 190 BV geduldet sein, einen Rechtfertigungsgrund stellt es jedoch nie dar.

[5-II] Hier fehlt meines Erachtens die Subsumtion der Tatbestände auf den Einzelfall. Weder wird darauf eingegangen, weshalb die von den Angeklagten getroffenen Massnahmen während der Eskalation den behaupteten Straftaten entsprechen sollen noch wird die wohl klar fehlende Verhältnismässigkeit und die Erkennbarkeit dieser für die Angeklagten, was zum Versagen eines Rechtfertigungsgrunds nach
Art. 14 StGB führen müsste, im Parteivortrag thematisiert.

[6] In der zugehörigen Anklageschrift findet sich von dieser zaudernden, ja geradezu entschuldigenden Haltung freilich gar nichts. In knappen, klaren Worten wird auf sieben Seiten der Sachverhalt beschrieben, die eingeklagten Tathandlungen und Tatbestände benannt, auf die erlittenen Verletzungen der Privatklägerin, deren Entstehung und Kausalität eingegangen sowie die Bestrafung der Angeklagten mit konkret zugemessenen Strafanträgen verlangt.

Angesichts der deutlichen Sprache, welche die Anklageschrift findet, erstaunt der Auftritt von Staatsanwältin Braunschweig im Verfahren vor dem Obergericht sehr, er wirkt unverständlich und erscheint widersprüchlich. Auch wenn die Staatsanwaltschaft selbst keine Berufung eingelegt hat und daher nicht an ihre früheren Forderungen gebunden ist, so lässt der Wandel von Anklagevertretung zu „Freispruchsvertretung“ doch zumindest Zweifel daran offen, ob ein Verfolgungswille bezüglich der verhandelten Straftaten wirklich vorhanden war.

[7] Der ominöse Bundesgerichtsentscheid blieb leider ungenannt, möglicherweise war aber
BGer 1B_123/2011 gemeint, der in der Tat davon spricht, eine Einstellung dürfe „nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden“
[E. 7 Satz 2] (allerdings ohne auf den Umstand einzugehen, ob die Angeklagten im öffentlichen Dienst beschäftigt sind oder nicht).

Problematisch an diesem Entscheid ist, dass er (und alle gleichlautenden früheren Entscheide der I. Öffentlich-rechtlichen Abteilung) sich auf ein Urteil der Strafrechtlichen Abteilung stützt, welcher dieser Rechtsmeinung in Bestätigung der (dortigen) älteren Praxis diametral widerspricht und festhält, dass:
„Aus dem Umstand, dass eingestellt werden muss, wenn eine Verurteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, folgt nicht, dass erst bei derart hoher Wahrscheinlichkeit eingestellt werden darf. Ein solcher Massstab wäre zu streng und würde dazu führen, dass selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ein Anklagezwang bestünde. Verlangt wird lediglich, im Zweifel Anklage zu erheben resp. zu überweisen. Als praktischer Richtwert kann daher gelten, dass Anklage erhoben werden muss, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch.“ (BGer 6B_588/2007 E. 3.2.3 Satz 2-4)

Es scheint sich hier um einen Abteilungsstreit zu handeln, der mit einem Praxisänderungsverfahren nach Art. 23 BGG hätte gelöst werden müssen, was aber offenbar versäumt wurde. Im Zweifel ist wohl anzunehmen, dass die jüngeren Entscheide als Revision der älteren Rechtsmeinung (Art. 2 Abs. 2 BGG analog) gedacht sind, ohne dass dies korrekterweise konkret festgehalten worden ist. Damit erweist sich die im Parteivortrag vorgetragene Auffassung als zumindest vertretbar, wenn nicht gar für die Praxis als momentan geboten.

[8] Strafverteidiger Erni hat im Vorfeld bei Verteilung der Redezeit grossspurig und psychologisch wirkungsvoll angekündigt, sein Plädoyer dauere lediglich „zwei bis drei Minuten“. Zu erwarten war angesichts dieser sportlichen Ansage ein sehr stark gestraffter Parteivortrag, der von Punkt zu Punkt und von Argument zu Argument springt, um die Anklage schon durch die Vielzahl und Häufung von Entgegnungen und Erklärungen des eigenen Standpunkts in gedrängter Form und kurzer Zeit taktisch geschickt zu Fall zu bringen.

Insofern war der Parteivortrag leider enttäuschend, denn Strafverteidiger Erni erging sich im Wesentlichen in seiner Aussage, dass und warum er kein schriftliches Plädoyer vorbereitet habe und im Nebenpunkt darin, das Auftreten von Geschädigtenvertreter Steiner zu kritisieren, der sich ungebührlich verhalten hätte. Das Plädoyer dauert zudem insgesamt gut viereinhalb Minuten, sodass auch die eigens gesetzte Zeitvorgabe nicht ganz eingehalten wurde.

[9] Die Glaubwürdigkeit der Gegenseite generell zu bestreiten um sich nicht detailliert mit deren Vorbringen befassen zu müssen ist eine eher billige Taktik, die eher an ein Totschlagargument als an gewandte Rede erinnert. Daran ist natürlich nichts verwerflich oder falsch und – wenn es ihren Klienten nützt – können, dürfen und müssen Rechtsanwälte zuweilen auch zu billigen Taktiken greifen, jedoch fällt es immer als unelegante Verteidigungsmethode auf.

Zudem dürfte zumindest die Berufung auf § 5 PolG ZH wohl fehlgehen. § 5 PolG ZH ist – abgesehen davon dass es sich weder um eine Erlaubnis noch um einen Gebotsartikel handelt und damit auch nicht Gegenstand von Art. 14 StGB sein kann – eine Zwecksnorm, welche die Aufgaben der Polizei beschreibt und davon ausgeht, dass diese – im Rahmen ihres sicherheitspolizeilichen Auftrags (§ 3 Abs. 1 PolG ZH) – um den Schutz von Personen vor Angriffen durch Dritte besorgt sein muss.

Selbstverletzendes Verhalten kann – soweit keine Drittpersonen involviert werden – jedoch die öffentliche Sicherheit gerade nicht stören, sodass – unabhängig von der konkreten Situation – Massnahmen zur Abwehr von Selbstgefährdung, die in die körperliche Integrität des Betroffenen eingreifen, nicht durch § 5 PolG ZH gerechtfertigt sein können, zumal es ohnehin zynisch wäre, rechtsgutsverletzendes Verhalten als „Hilfe“ zu bezeichnen. Zu § 37 PolG ZH gilt das bereits angemerkte.

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